Stellungnahme von Edelgard Bulmahn zur Verabschiedung des „Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“. Am Donnerstag, dem 2. Juli 2015, wird das Gesetz im Bundestag verabschiedet. „Das Bleiberechtsgesetz ist ein Kompromiss mit sozialdemokratischem Stempel“, so Bulmahn.


Stellungnahme im Detail

Am Donnerstag, den 2. Juli 2015, wird im Bundestag ein „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ verabschiedet.

Dieses Gesetz beinhaltet keine Einschränkung oder Verschärfung des Asylrechts, sondern stärkt die Rechte von Flüchtlingen in entscheidenden Punkten. Allerdings finden sich in dem Gesetz auch einige Regelungen, die die Union durchgesetzt hat, die aber durch uns in den Verhandlungen stark abgemildert werden konnten. Erhebliche Verbesserungen für Flüchtlingen sind z. B. die Einführung einer allgemeinen alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete, die Verfestigung humanitärer Aufenthaltstitel oder ein erweitertes Bleiberecht für Jugendliche.

Neuregelung Abschiebungshaft

Die Neuregelung kodifiziert in erster Linie das geltende Recht und konkretisiert die Anhaltspunkte für Fluchtgefahr; fünf von sechs dieser Punkte werden in der gängigen Rechtsprechung zurzeit bereits angewendet. Darunter fällt auch der Schleuserpassus. Für diesen konnte die SPD eine Entschärfung erwirken: Die Inanspruchnahme eines Schleusers kann nur bei „erheblichen“ Geldbeträgen als Haftgrund bei Fluchtgefahr gelten.

Ausweisungsrecht

Hier waren Änderungen nötig, weil die geltenden Regelungen nicht mehr europarechtskonform waren. Teilweise wurden auf Drängen der Union die Ausweisungsgründe verschärft, z.B. wenn eine Person zu Hass auf die Bevölkerung aufruft und dabei auf Kinder und Jugendliche einwirkt. Dieser Passus gilt jetzt auch für die Einwirkung auf Erwachsene. Im Gegenzug dazu konnte die SPD jedoch eine Entschärfung im Ausweisungsrecht für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel durchsetzen.

Viertägiger Ausreisegewahrsam

Dieser wurde neu geschaffen und bleibt aus Sicht der SPD kritisch. Die Union hatte diesen Punkt jedoch leider zur Bedingung für das gesamte Gesetz gemacht. Es bleibt die Hoffnung, dass dadurch wenigstens Nacht- und Nebel-Abschiebeaktionen seltener werden.

Einreise- und Aufenthaltssperre

Auch hier musste die SPD Zugeständnisse machen, konnte jedoch durch einige rechtliche Klarstellungen verhindern, dass die neuen Bleiberechtsregelungen durch Einreise- und Aufenthaltssperren konterkariert werden: Verbote werden nicht bei unverschuldeten Duldungsgründen verhängt und sollen beim Vorliegen von Voraussetzungen für die Bleiberechtsregelung oder anderen humanitären Aufenthaltstiteln aufgehoben werden. Die Sperren wurden darüber hinaus auf ein absolutes Minimum reduziert und umfassen nunmehr lediglich Personen aus sicheren Herkunftsstaaten und Personen, deren zweiter Asylfolgeantrag abgelehnt wurde.

Die CDU hatte bereits bei den Koalitionsverhandlungen auf eine Verschärfung des Ausweisungsrechtes bestanden und hätte ohne diese jede Verbesserung für Asylsuchende und Geduldete blockiert. Auch wenn einige Neuregelungen aus meiner Sicht problematisch sind: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass das Gesetz zu deutlich mehr Abschiebungen führt. Es kann allerdings passieren, dass wir zukünftig wieder mehr Menschen in Abschiebegefängnissen sehen werden. Wir werden die Auswirkungen des Gesetzes deshalb genau beobachten.

Obwohl die SPD auch einige Kompromisse eingehen mussten: Das neue Gesetz pauschal als Asylrechtsverschärfung zu verurteilen entspricht schlicht nicht den Tatsachen. An vielen Stellen ist genau das Gegenteil der Fall – das Gesetz lockert die geltenden Bestimmungen und schafft neue Perspektiven für viele Geflüchtete. Zu den erheblichen Verbesserungen gegenüber den bestehenden Regelungen zählen:

Einführung einer allgemeinen alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährige Geduldete (neuer §25b)

Dabei handelt es sich um eine wesentliche Verbesserung, auf der die SPD bereits im Koalitionsvertrag bestanden hatte und von der zehntausende Geduldete voraussichtlich profitieren werden. Unabhängig vom Einreisedatum oder Alter hat nun jede/-r Geduldete nach 8 bzw. 6 (mit minderjährigen Kindern) Jahren Aufenthalt und bei nachhaltiger Integration (z.B. Deutschkenntnisse) ein Bleiberecht. Ein besonderer Erfolg ist hierbei, dass keine volle Lebensunterhaltssicherung nötig ist, wie bisher im Aufenthaltsrecht üblich.

Erweitertes Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche (§25a und §60a)

Im Gesetzentwurf wurde das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche in §25a erweitert: Es gilt jetzt für junge Flüchtlinge bis zum 21. Lebensjahr (davor Einreise bis 14 Jahre); der Voraufenthalt wurde von 6 auf 4 Jahre herabgesetzt. Im Laufe der Verhandlungen konnte die SPD zusätzlich einen neuen § 60a durchsetzen: Hier wird ausdrücklich eine Ausbildung als Duldungsgrund verankert. Dies schafft Rechtssicherheit für Arbeitgeber bei der Einstellung von Geduldeten und Asylsuchenden mit offenem Verfahrensausgang.

Verbesserungen für Resettlement-Flüchtlinge

Das neue Gesetz schafft eine eigene Rechtsgrundlage für Resettlement-Verfahren. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Verstetigung der Verfahren wurde damit umgesetzt. Resettlement-Flüchtlinge erhalten außerdem Zugang zu BAföG und werden bei Familiennachzug und Aufenthaltsverfestigung (Niederlassungserlaubnis nach drei Jahren) mit Asylberechtigten und Flüchtlingen nach Genfer Konvention gleichgestellt.

Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel

Zwar konnten wir hier keinen eigenen Aufenthaltstitel schaffen, wie es sich die SPD gewünscht hätte. Allerdings konnten wir aus den bisherigen Kann-Regelungen zur Erteilung von Asyl eine Soll-Regelung machen, die Zeitspannen für die Befristung verlängern, einen erhöhten Ausweisungsschutz durchsetzen und Familiennachzug ermöglichen.

Schaffung einer neuen Aufenthaltserlaubnis zur Anerkennung eines ausländischen Abschlusses

Für die Durchführung eines Verfahrens zur Anerkennung eines ausländischen Abschlusses schafft das neue Gesetz einen eigenen Aufenthaltstitel.

Verfestigung humanitärer Aufenthaltstitel

Aufenthaltstitel, die nicht Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft nach Genfer Konvention oder subsidiärer Schutz sind, waren bisher schlechter gestellt bei Erteilung der Niederlassungserlaubnis (sieben statt fünf Jahre). Die Niederlassungserlaubnis wird jetzt, wie auch bei den anderen Titeln, nach fünf Jahren vergeben.

Mit all diesen Verbesserungen hat die SPD dem Gesetz ihren erkennbaren Stempel aufgesetzt. Mit diesem Gesetz werden viele der mehr als 130.000 Geduldeten aus der Warteschleife ohne festen Aufenthalt herausgeholt.

Die derzeitige Debatte zum Bleiberecht fügt sich in eine weit größere Debatte ein, die in den letzten Monaten zu signifikanten Verbesserungen für die Betroffenen geführt hat.

Es findet endlich der Paradigmen-Wechsel statt, auf den wir als SPD seit Jahren hinarbeiten: Weg von den ordnungspolitischen Relikten der 90er und 2000er Jahre, hin zur Erkenntnis, dass viele Flüchtlinge bleiben wollen und auch bleiben sollen. Ein solcher Wandel vollzieht sich jedoch nicht über Nacht und auch nicht durch ein einzelnes Gesetz. Mit der weitgehenden Abschaffung der Residenzpflicht und des Sachleistungsprinzips sowie der erleichterten Arbeitsaufnahme wurden in den vergangenen Wochen und Monaten weitere Fortschritte erreicht. Wir müssen noch viele Schritte weitergehen.

Für mich ist klar: Kompromisse sind elementarer Bestandteil einer Demokratie. Wer etwas erreichen möchte, muss auch Zugeständnisse machen. Insofern ist das Gesetz für beide Koalitionspartner ein Kompromiss, da sie größere Zugeständnisse machen mussten. Solange jedoch die positiven Aspekte deutlich überwiegen – was sie aus meiner Sicht tun – und sich die tatsächliche Lage der Asylsuchenden und Geduldeten in Deutschland verbessert, kann ich als Sozialdemokratin dem Kompromiss zustimmen.