auf den Arbeitskreis "Stolpersteine für Pattensen"

Stolpersteine, über diese bin ich schon vor vielen Jahren "gestolpert" - in Berlin z. B. am Cottbusser Tor. Und ich empfand sie und ich empfinde sie als Erinnerung an eine Zeit, als ein Genozid in Deutschland verübt wurde - mit der Darlegung eines ganz persönlichen Schicksals, eben eines Menschen, verbunden mit einem Namen, durch eine Aufmerksamkeit erregende, kleine Messingplatte, eingelassen in die Pflasterung des Bürgersteiges. Mich hat das berührt.

Bis nach Hannover sind diese Erinnerungssteine allerdings (noch) nicht gekommen. Dafür gibt es auch Erklärungen. Diese liegen maßgeblich in der unterschiedlichen Auffassung von der Gestaltung von Mahnmalen im Großen wie im Kleinen, bekanntermaßen ein schwieriges, weil auf Empfindungen aufbauendes Thema.

Aber im Umland, in der Region gibt es sie schon. Ein aktuelles Beispiel gibt Pattensen. Im anhängenden Blick vom Kronsberg wird von Martin Hamann, wohnhaft im Pflegewohnstift Pattensen, über die dortigen Aktivitäten berichtet. Den Text stellte Martin Hamann freundlicherweise für eine weitere Verbreitung in der Öffentlichkeit gerne zur Verfügung.

Diese Information soll zur Diskussion anregen und möglicherweise auch zu weiteren Aktivitäten veranlassen. Als Informationsquelle über die Stolpersteine selbst empfehle ich die Website mit der Domain www.stolpersteine.com.

Es ist und bleibt ein sensibles Thema. Dennoch soll hiermit ein Anstoß zur weiteren Befassung gegeben werden.

auf den Arbeitskreis Stolpersteine für Pattensen

Alle Zukunft braucht Erinnerung

Von Martin Hamann, Pattensen

Viele Bewohner im Pflegewohnstift Pattensen sind von auswärts, teils von weither hier zugezogen, von Hannover, Goslar, Bremen, Dresden, München usw. Ob es da wohl ab und zu Heimweh gibt? Nun, wichtig ist, dass man sich am neuen Wohnort wohl fühlt. Zum Wohlfühlen in dem Sinne gehört eine gewisse Vertrautheit mit den Verhältnissen der neuen Umgebung. Man sollte wissen, wer die neuen Nachbarn sind, sollte sich in den Verkehrsverhältnissen auskennen und wo Rathaus, Post und Ärzte zu finden sind. Im Grunde sollte man auch Bevölkerungsverhältnisse und wirtschaftliche Situation in seine Neugier einbeziehen. Und wer sich dann gar für geschichtliche Ereignisse seines neuen Wohnsitzes interessiert, der gehört schon fast dazu und ist Bürger von --- Pattensen geworden. Beim Herantasten nach all solchen Möglichkeiten stieß ich neulich in der Schalterhalle der Sparkasse auf einige Stelltafeln, die etwas über jüdisches Leben in Pattensen anschaulich machen wollten. Da sah man auf der ersten eine stramme Feuerwehrmannschaft in fotogener Ausstellung, sechs unter den gestandenen Mannsbildern waren durch einen Kreis aus der Masse hervorgehoben. Und weiter eine historische Zeitungsanzeige, ein H. Blumenthal bot darin Städtisches Lagerbier und Lüttje Lage an und versprach, falls einer davon zuviel getrunken haben sollte, bei vorkommenden Kater marinierte Salzheringe und Cigarren. (Solcher Hinweis muss ja einen Grund gehabt haben, und man könnte gewisse Schlüsse auf das Trinkverhalten der Pattenser Männerwelt von damals ziehen?) Ein Fotoabdruck zeigte das Manufaktur- und Kolonialwarengeschäft eines Leopold Jacob. Eine Traueranzeige berichtete von dem Heldentod eines Willi Neufeld, der als Infanterist im 91. Infanterieregiment am 25.06.1915 gefallen ist. Auf einer anderen Stelltafel waren 17 Namen aufgeführt, jeder mit einem Datum und einem Kreuz als Zeichen des Heldentodes fürs Vaterland. --- Das alles waren Juden und deutsche Staatsangehörige aus Pattensen.

Man kann also erkennen, die Juden in Pattensen lebten, arbeiteten und starben wie alle anderen Bürger auch. Je größer der zeitliche Abstand zu der Schreckensherrschaft des Naziregimes wird, desto unverständlicher dürfte es den nachfolgenden Generationen werden, wie es möglich war, dass Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Abstammung fliehen mussten oder auf grausame Art und Weise umgebracht wurden. Auch die Juden in Pattensen wurden alle Opfer, sodass man 1942 selbstbewusst an eine obere Behörde melden konnte: Pattensen judenfrei. Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, und man will die Dramatik der Jahre 1933 bis 1945 nicht in Vergessenheit geraten lassen, sondern lebendig erhalten. Es fanden sich Tatkräftige und bewusst Lebende, die mit Eifer und viel Zeitaufwand Material zusammengetragen haben, das es ermöglicht, lückenlos bis 1830 zurück Näheres über die Juden in Pattensen zu erfahren, die hier gelebt, gearbeitet, geliebt, gelacht haben, Mitglied in Vereinen, Verbänden, Liedertafeln waren, später gedemütigt, verfolgt, deportiert und ermordet wurden. 42 Mitbürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung wurden namentlich ausfindig gemacht. In 29 Fällen konnte deren Schicksal in Konzentrations- und Vernichtungslagern belegt werden und einmal auch eine geglückte Flucht nach Argentinien.

Nun hat sich seit geraumer Zeit in Anlehnung an eine bundesweite Bewegung eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, alten und jungen Bürgern auch hier in Pattensen zusammen gefunden, die unter dem Namen Arbeitskreis Stolpersteine für Pattensen nahezu halbamtlichen Charakter hat. Ziel derselben ist es, die Erinnerung an die jüdischen Mitbürger aufrecht zu erhalten. Was hat es mit den Stolpersteinen auf sich? Sie sind ein Kunstprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig und werden vor der letzten frei gewählten Wohnung von Bewohnern jüdischen Glaubens verlegt und zwar im Pflaster des Trottoirs. Es handelt sich dabei um 10 mal 10 cm große Betonquader, deren obere Fläche mit einer Messingplatte abschließt, auf der der Künstler Namen, Geburtsjahr und Schicksal des Opfers eingraviert hat. Bereits in 190 Orten erinnern solche Steine an die Opfer der Naziherrschaft, und der Künstler hat seit 1992 etwa 9000 davon in die Pflaster eingemauert. Nach vielem Suchen, Blättern, Telefonieren, Laufen und Fragen war auch in Pattensen auf die Initiative der Damen Heidi Friedrichs, Gertraude Kruse und Carola Timpe alles soweit vorbereitet, dass am Standort der ehemaligen Synagoge in der Hofstraße der erste Stolperstein verlegt werden konnte. Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Bauhofes hatten bereits einige Tage vorher ein entsprechendes Loch vorbereitet, in das der Stein am 15. März 2007 von dem Künstler persönlich verlegt wurde. Er soll an den Rabbiner Jacob Apt, der 1942 deportiert und in Minsk ermordet wurde, erinnern.

Eröffnet jedoch wurde die Veranstaltung zunächst von Frau Gertraude Kruse, Regierungspräsidentin a. D., die mit nachhaltigen Worten die teilnehmende Prominenz begrüßte, darunter den Bundestagsabgeordneten Dr. Matthias Miersch, den stellvertretenden Ortsbürgermeister Gerhard Dettmer für den Ortsrat Pattensen, Mitglieder der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Mitglieder des Stadtrates, die Feuerwehrmänner in Uniform, den Künstler Gunter Demnig und schließlich die zahlreich erschienenen Frauen, Männer und Kinder. Ergreifende Worte sprach anschließend der stellvertretende Bürgermeister, Herr Bischoff-Tschirner: Wenn wir dann über die Steine stolpern, ziehen vor unseren Augen sicher die Bilder von Familien, alten Leuten und kleinen Kindern vorbei, die abtransportiert wurden und ihre Stadt nie wieder gesehen haben. Beeindruckend war seine Definition über die Notwendigkeit, sich beugen zu müssen, wenn man die kleine Schrift auf solch einem Stein lesen will: ich sahe es nicht als V o r - , sondern als V e r beugen vor diesen Menschen an, die unvergessen bleiben sollen. Zum Abschluss las der Schüler Matthias Friedrichs mit wohlgesetzten Worten und kräftiger Stimme die persönlichen Daten des Rabbiners Jacob Apt, zu dem er eine ganz persönliche Beziehung hatte, vor und legte am Stein, den er aus seinen eigenen Ersparnissen finanziert hat, eine Rose nieder. Im Anschluss an diese Feierstunde wurden noch weitere Stolpersteine verlegt: in der Marktstraße 9 zum Gedenken an Paula Frank, ermordet 1943, Südstraße 6 an Oskar Blumenthal, ermordet 1944, Mauerstraße 21 an Annelise Barusch, ermordet in Auschwitz und Steinstraße 18 an Hans-Moritz Neufeld, Flucht 1937 nach Argentinien. Als Abschluss der gesamten Feierlichkeit fand am gleichen Tag im Gemeindezentrum der St.-Lucas-Gemeinde noch eine Abendveranstaltung statt. Grußworte und musikalische Beiträge gaben dem Beisammensein festlichen Charakter, und der von Frau Marlene Stenzig gespendete Imbiss und Getränke sorgten für das leibliche Wohl aller Gäste.

Alle Zukunft braucht Erinnerung. Die Stolpersteine sind nicht Geschichte schlechthin. Sie sollen bewahren und warnen, sollen an die Opfer und an die Nazi-Schreckensherrschaft erinnern und nachfolgenden Generationen Mut machen für Toleranz und demokratische Grundwerte.

Der vorstehende Bericht wurde bereits veröffentlicht im Informationsblatt Zuhause im Pflegewohnstift Pattensen[51. Ausgabe Mai 2007].